Katharina Ritter – GEschichtenerzählerin
Wie? >> Übers Erzählen erzählen


Was ist Geschichten-Erzählen?
Was bedeutet freies mündliches Erzählen?

Das mündliche Geschichten-Erzählen ist eine der ältesten Künste
der Welt und gleichzeitig Avantgarde. Als Beruf fast ausgestorben, in
unserem Leben allgegenwärtig und darum unbemerkt. Ganz normale,
schlichte Kulturtechnik eben. Freies Erzählen ist weder Rezitation von
bestehenden Texten, noch das Erfinden von Geschichten aus dem Stegreif.
Im Moment des Erzählens entsteht die mir bekannte (geborgte oder selbst
erdachte) Geschichte jedes Mal neu. Ich nenne es „Die allmähliche Verfertigung
der Geschichte beim Erzählen". Während des Erzählens bewege ich mich wie durch eine dreidimensionale Landkarte und erzähle die Bilder die vor meinem inneren Auge auftauchen. 

Nur zuhören?
Bei einer freien mündlichen Erzählung springt der Funke zum Zuhörer über, ganz direkt, jenseits einer festgeschriebenen Form. Wer zuhört macht sich seine ganz eigenen Bilder im Kopf, wird so Mitgestalter und Teil  der Geschichte.
Zuhören ist DIE unterschätzte Aktivität – für Hirn und Herz.  


Welche Talente und besonderen Fähigkeiten braucht eine Geschichtenerzählerin?
Man muss Geschichten lieben und sich trauen, ganz allein da zu stehen, ohne
jedes Hilfsmittel.

Ein gutes Sprachgefühl, ein lockerer natürlicher Umgang mit Sprache ist, wenn man frei erzählen will, ganz wichtig – und das Vertrauen darauf, dass alles da ist, was es zum Erzählen braucht – denn Erzählen ist eine ganz schlichte menschliche Kulturtechnik.

Wahrhaftigkeit im Umgang mit der Geschichte und dem Publikum ist mir persönlich das Wichtigste.
Und natürlich ist es, wenn man eigene Geschichten erzählen will, von Vorteil, wenn man „etwas zu sagen hat“.


Wie sind Sie zum Geschichten-Erzählen gekommen?
Wie wurden Sie Geschichtenerzählerin?

Ich war wohl schon immer eine – lange bevor ich lesen lernte, hab ich ganze Bücher erzählt. Mit 5 hab ich mir auf einer Hochzeit mit Gedichten und Liedern meinen ersten Schulranzen verdient. Dann kam die Schule, und für ein kleines hüpfendes Plappermädchen die Welt der Schriftlichkeit, der Ernst des Lebens... eine kaufmännische Ausbildung hat mich irgendwann Produktionsleiterin in einer Münchner Filmproduktion werden lassen. Über 10 Jahre hatte ich dort mit dem Erzählen zu tun – in seiner kompliziertesten, komplexesten Form – mit Dokumentar- u. Spielfilmen – hab anderen beim Erzählen zugearbeitet, organisiert – und immer mehr Lust bekommen, auch etwas Eigenes zu kreieren.

Parallel zur Filmwelt habe ich Kurse in Pantomime besucht und hatte einen privaten Schauspiellehrer. Mit Mitte 30ig dann hab ich meinen Filmjob aufgegeben um Platz für eigene künstlerische Arbeit zu schaffen. Ich wollte mehr als ein Hobby.

1997, in Vancouver, hörte ich zum ersten Mal von Storytelling, die Initialzündung war kurz danach an meinem Küchentisch. Ein guter Freund meinte: "Ach Katharina – es gibt in diesem Land so viele arbeitslose Schauspielerinnen – aber so lange es Menschen gibt, wird es immer einen geben, der sich auf eine Obstkiste stellt und eine Geschichte erzählt, und dafür nachher nicht abspülen muss."
Das war’s! Genau, ich werde Geschichtenerzählerin – mal sehen was das ist.
So habe ich mich auf den Weg gemacht.

Wem und wo erzählen Sie Geschichten? 

Kindern weil sie das ehrlichste und offenste Publikum sind – Erwachsenen weil sie sich (nach kleinen Anfangsängsten oder Vorurteilen) genau so gern verzaubern und in ihre Bilderwelten entführen lassen.

Von Vancouver bis Borneo, in Andelsbuch, Zurzach, Berlin oder München – einfach überall da, wo man mich hören will.

Wovon handeln Ihre Geschichten?
Was sind Ihre thematischen Schwerpunkte?

Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, denn ich liebe so ganz unterschiedliche Geschichten. So habe ich nach jetzt 10 Jahren als professionelle Geschichtenerzählerin ein großes und ganz unterschiedliches Repertoire – es sind wohl an die 200 Geschichten – nicht rezitiert oder gar vorgelesen, sondern frei erzählt.

Darunter für Erwachsene viele kurze, freche, schräge, skurrile, fiese (eigene) und geborgte aus Tradition oder mündlicher Überlieferung, bis hin zu unterschiedlichen zum Teil ganz langen Geschichten für Kinder z.B. den Pinocchio (mindestens
3 Stunden), die Zauberflöte, natürlich viele Märchen und dann meine eigenen wie “die Museumsmuffel-Bande (speziell entwickelte Erzählreihe fürs Bayerische Nationalmuseum), aus dokumentarischem Material und der Familiengeschichte gebaute (über die Schwabenkinder) bis hin zu freien Abenteuer-Miterzähl-Geschichten – aus denen in jüngster Zeit in Zusammenarbeit mit dem Honcastle-Verlag auch Hör-Bilder-Bücher, (CD mit Illustrationen) entstanden.

Erzählen auf Konserve? 

Es mangelt in unserer Gesellschaft an persönlicher Zuwendung, vor allem auch den Kindern. Ich kann und will natürlich nicht die Eltern ersetzen, die das Kind auf den Schoß nehmen, um ihm eine Geschichte zu erzählen. Aber in einer Welt in der Großeltern eher per E-Mail zum Geburtstag gratulieren als ihren Enkeln am glimmenden Kaminfeuer von früher zu erzählen, in der Kinder oft stundenlang festgeschnallt in Autositzen verbringen müssen oder schlichtweg vor der Glotze geparkt werden, sind Hörstücke (frei erzählte am besten) eine wunderbare Möglichkeit, aktiv zu sein. Denn Zuhören ist, man kann es nicht oft genug sagen, DIE unterschätzte Aktivität – für Hirn und Herz.

Beim Hören meiner CDs fehlen natürlich Gestik und Mimik aber man kann sich dafür ganz auf die eigenen Bilder einlassen, die dabei entstehen.
Um auch auf CD die optimale Erzähl-Situation herzustellen, haben wir in Zusammenarbeit mit dem Filmemacher Claus Strigel für die Geschichten zusätzliche akustische Ebenen geschaffen: Die eine CD würde absichtlich im Freien aufgenommen, mit Grillenzirpen usw., bei der anderen Produktion wurde ein Geräuschemacher engagiert, um der Geschichte eine spannende Klangebene zu geben.


Publizieren Sie nur für Kinder oder gibt es Pläne für ein Projekt, das sich an Erwachsene richtet?

Als nächstes möchte ich meine Schwabenkinder-Geschichte auf CD rausbringen - die ist für die ganze Familie geeignet - und  Zaubergeschichten für Leute mit guten Nerven.  Eine Projekt mit Geschichten "nur für Erwachsene" liegt auch abrufbereit in meinem Kopf – der Himmel weiß, wann ich Zeit finde, sie auf CD zu produzieren, denn meine Hauptarbeit sind natürlich die Live-Auftritte landauf landab.


Kann man Erzählen lernen, kann man bei Ihnen Erzählen lernen? 

Ich glaube grundsätzlich, dass wir erzählen können! Sprechtechniken erlernen, bewusst Mimik u. Gestik einstudieren – das ist meine Sache nicht. Im Gegenteil – es führt meiner Meinung nach im schlechtesten Fall zu verkünstelten, verkrampften Vorträgen oder stereotypen Rezitationen. Das freie mündliche Geschichten-Erzählen hat eine ganz andere Qualität: Wenn wir auf unsere ganz eigene Sprache vertrauen, vielleicht sogar einen Dialekt sprechen, müssen wir nur noch Geschichten finden, die wir lieben. Dann, davon bin ich fest überzeugt, finden wir Menschen die uns zuhören. 


Trotzdem geben Sie im In- und Ausland viele Workshops? 

Meine Kurse richten sich vor allem an Leute denen immer wieder die Frage gestellt wird: "Erzählst Du uns eine Geschichte?" Ich gebe ganz praktische Tipps zur Dramaturgie. Was macht eine Geschichte spannend, warum wollen Menschen sie vielleicht hören? Ich verrate Tricks und Werkzeuge fürs "Basteln" von Geschichten. Und ich unterstütze und begleite Leute, die sich auf dem Weg gemacht haben, um das Geschichten-Erzählen zu ihrem Beruf zu machen. 





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